Vortrag: Michael Zinganel "Crime Sells - Verbrechen als Motor der Stadtwahrnehmung"

Dem Verbrechen wird für die Wahrnehmung der anwachsenden Metropolen der Moderne eine zentrale Bedeutung zugeschrieben: Im 19. Jahrhundert wird der Thrill des Verbrechens zum zentralen Verkaufsfaktor einer Gewinn orientierten Kulturindustrie: crime sells, in den Tageszeitungen, in Wachsfigurenkabinetten, in Detektivromanen – und später im Kino und im TV.

„Das Verbrechen“ dient dabei aber ebenso als gemeinsamer „Realität“ und Identität stiftender Gesprächsstoff für das anonyme Großstadtpublikum. Die Repräsentationen des Verbrechens in den Massenmedien helfen die einander fremden, räumlich distanzierten Bewohner der Großstadt zu einer Gemeinschaft, zu einer imagined community zusammenzuführen – und vorerst unbekannte, leere, erfahrungsfreie Räume erstmals mit Inhalten zu füllen und so dem Publikum zu erschließen – wenn auch meist als Orte des Unglücks, des Elends oder des Verbrechens (Schwartz 1998).

So wie die Methoden des Stadtreporters sind auch die der in Wissenschaft der Stadtsoziologie direkt der Polizeiarbeit entlehnt (Lindner 1996). Die Werkzeuge zur Wahrnehmung der Großstadt sind daher maßgeblich von der Produktkraft des Verbrechens geleitet. Der statistische Raster wissenschaftlicher Untersuchungen produzierte eine neue Konzeption der Stadt, dessen Zweck ihre Kontrollierbarkeit und Heilung darstellte. Die vermeintlich instrumentale Reinheit der Wissenschaft wurde aber stets durch anderes Wissen aus Kunst, Massenmedien und populären Mythen überlagert. Viele historische Gefahrenorte konnten ihrer Stigmatisierung und Diabolisierung solange nicht entkommen bis sie schlussendlich neu gestaltet wurden.

Michael Zinganel, arbeitet als Architekturtheoretiker, bildender Künstler und Kurator in Graz und Wien; Lehraufträge und Gastprofessuren an unterschiedlichen Universitäten. Ausstellungen, Projekte und Publikationen, u.a. über Stadt und Verbrechen und zuletzt zur Touristifizierung des Alltags.

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